Interview
Κoblenz, 25 May 2006
Anke Krump: Frau Xanthopoulou, wie kommt man als Frau zum Dirigieren?
Lisa Xanthopoulou: Nun, dafür muss ich etwas ausholen. Die Geschichte des
Dirigierens beginnt ja in dem Moment, als die Orchesterbesetzungen immer grösser
und die Instrumentierung immer anspruchsvoller wurde. Es war eine Entwicklung, die
über viele Jahrzehnte, ja Jahrhunderte ging und die Dirigenten haben angefangen,
selbst einen Mythos daraus zu machen. Eigentlich geht es beim Dirigieren nur um
Koordination und um Dienst. Der Dirigent dient dem Orchester. Er ist nicht der
machtvolle Tyrann, als der er oft dargestellt wird. Aber dieser Mythos gehört eben
dazu. Und, er verändert sich: Wenn heute jemand wie Furtwängler vor ein modernes
Orchester treten würden – ich glaube, die meisten würden ihn nicht als
Chefdirigenten wählen. Die Mentalität der Orchester hat sich verändert.
Auch Bernstein ist zu einem Mythos geworden. Er steht für eine neue Generation, die
sich nach dem Krieg etablierte. Damals haben, auch das muss man bedenken, noch
längst nicht so viele Personen Musik studiert wie heute. Damals bewarben sich auf
eine Stelle vielleicht drei Personen, und zwar mit Bild. Heute bewerben sich 150
Leute auf eine Stelle. Und sofort kann man den Unterschied merken: Die 150 Leute
nehmen sich bescheidener aus als die drei Kandidaten, die damals bei den New
York Philharmonic Kandidaten waren. Ich glaube, dass die grosse Anzahl tatsächlich
der Grund ist, weshalb die Dirigenten heute bescheidener auftreten. Sie sollen
natürlich ein Prestige haben, ein Image. Aber sie sind menschlicher und für eine
Zusammenarbeit bereiter. Ähnliches gilt für die Orchestermitglieder. Auch sie werden aus einer großen Menge ausgesucht und sind bescheidener geworden. Auf der anderen Seite sie sind
anspruchsvoller geworden, denn: ‚Ich wurde ausgewählt, aus 200 Bewerbern, also
habe ich einen Anspruch auf ein gutes Dirigat‘.
Es treffen also verschiedene Momente aufeinander: Auf der einen Seite die
zunehmende Bescheidenheit der Männer. Auf der anderen Seite die Frauen, die
schon in so vielen Berufen integriert sind, und nun zeigen, dass sie auch dirigieren
können. Und so werden es immer mehr und mehr Frauen. Die Männer werden immer
bescheidener, die Frauen immer stolzer. So kommen wir langsam zu einem
Ausgleich.
Anke Krump: Sind Dirigentinnen Ihrer Meinung nach noch immer Ausnahmen?
Lisa Xanthopoulou: Ich denke, es ist ein Prozess. Wir sind noch immer die
Ausnahme, denn die Prozente stimmen noch nicht. Wenn in 80 Theatern 2,5 % der
Chefs Frauen sind, dann sind das Ausnahmen! Dahingegen gibt es dirigierende
Frauen, die keine Chefpositionen haben, bereits viele. Sie sind keine Ausnahmen
mehr. Es wird immer mehr und ich glaube in zehn Jahren ist es soweit, dass wir eine
Dirigentin als normal empfinden. Andererseits hat der Ausnahmestatus auch etwas Gutes: Man wird immer sagen, ‚Weiß du noch, vor vielen Jahren, die Griechin?‘. Aber wer erinnert sich noch an einen Griechen?
Anke Krump: Zementiert die Presse?
Lisa Xanthopoulou: Die Presse braucht immer eine gute Zeile. Und wir geben sie ihr.
Lasst die Journalisten das benutzen, es wird irgendwann von alleine aufhören, denn
irgendwann wird sich die Zeile nicht mehr verkaufen. Allerdings ist die Art, wie manche über eine Frau schreiben einfach lächerlich. Viele Journalisten betonen nicht das Können, sondern das Aussehen oder das hübsche Gesicht. Gegenüber z. B. den Primadonnen gibt es eine solche Haltung nicht. Sie sind Diven, sie sind hübsche Frauen, Bombenfrauen – dennoch stehen bei denen andere Zeilen. Bei uns Dirigentinnen spiegeln sich noch die Reste der bereits
erwahnten Machtgeschichte.
Anke Krump: Im Hinblick auf die Etablierung von Dirigentinnen: Gibt es Unterschiede
zwischen den Ländern?
Lisa Xanthopoulou: Ich glaube, je südlicher man geht, desto mehr Männer sind noch
Dirigenten. In Italien gibt es meines Wissens nach fast nur Maestros. Hier ist die
typische Geschlechterteilung noch recht stark. Auch in der Dirigiertechnik gibt, trotz
all der verschiedenen Stile, leichte Unterschiede: je nördlicher man kommt, um so
mehr ist man um Technik bemüht. Je södlandischer man geht, desto emotionaler
wird es.
Anke Krump: Wie würden Sie das Rollenideal des modernen Dirigenten
beschreiben? Gibt es den „mächtigen“ Mythos Maestro noch?
Lisa Xanthopoulou: Eigentlich sollte ein Dirigent immer mehr können als die Musiker
um ihn herum: Ein Dirigent muss perfekt ein Konzert dirigieren, er muss eine Oper
perfekt dirigieren, perfekt aussehen, muss eine tolle Technik, musikwissenschaftliches Wissen und perfekte Ohren haben. Das war vor 20, 30 Jahren noch anders. Heute sollte jemand, der sich entschließt, Dirigieren zu studieren, die Überzeugung haben, der perfekte Musiker werden zu wollen – sonst hat man keine Chance. Für jede Stelle gibt es einen Wettbewerb, für den Wettbewerb einen Wettbewerb usw.. Es ist richtig sportlich geworden. Erwartet wird, dass der Dirigent nicht nur perfekt ausgebildet ist, sondern auch gut mit den Musikern zusammenarbeiten kann. Das Klima soll nichts mehr mit Macht zu tun haben, sondern mit Respekt.
Anke Krump: Nehmen wir den Aspekt der Macht weg – wo bleibt dann der Mythos?
Geht mit dem Macht-Aspekt nicht ein essentieller Charakterzug des klassischen
Orchesterbetriebs verloren?
Lisa Xanthopoulou: Zwischen den Musikern darf und wird der Maestro Mythos
weggehen. Für das Publikum wird, so glaube ich, der Mythos erhalten bleiben. Denn
das Marketing der Orchester spielt noch immer mit diesem Begriff. Ich glaube nicht,
dass der Publikum-Mythos so bald verschwinden wird.
Anke Krump: Werden Dirigentinnen so normal werden wie Orchestermusikerinnen?
Lisa Xanthopoulou: Ja natürlich. Je mehr Frauen ein Dirigierstudium absolvieren,
desto weniger haben Männer eine Ausrede, sie nicht zu Wettbewerben und Stellen
einzuladen. Es wird auch kommen, dass eine Frau eine Dirigierklasse übernimmt.
Anke Krump: Fehlen noch Vorbilder?
Lisa Xanthopoulou: Ja klar.
Anke Krump: Bisher ist es ja vor allen Dingen der Amateurbereich, in dem
Dirigentinnen anzutreffen sind.
Lisa Xanthopoulou: Ja, das basiert noch auf der alten Meinung, dass eine Frau es
nicht in den Profibereich schaffen kann. Das hängt mit den gesellschaftlichen
Vorstellungen zusammen. Das ist genetisch bedingt. Frauen müssen das Passive
sein, damit der Mann Mann sein kann. Das war doch auch so beider Ehe. In Griechenland war es so, dass eine Frau eine hohe Mitgift haben musste. Der Mann kam und sah, wie viel Geld die Tochter bzw. der Vater hat und wählte danach aus. Heute wählt die Frau aus, welchen Mann sie
heiratet – wenn sie überhaupt heiraten will. Ich glaube: Alles was in der Musik
passiert, hat eine soziologische Grundlage.
Anke Krump: Welches Image haben Dirigentinnen Ihrer Meinung nach?
Lisa Xanthopoulou: Nun ja, Frauen hatten bisher ja fast nur Manner als Vorbild.
Ungewollt übernimmt man also vielleicht die ein oder andere männliche
Dirigentenweise. Aber die eins ist tief, und die zwei ist hoch – das hat nichts mit dem
Geschlecht zu tun. Das ist ein Uni-Sex. Deshalb kann man nicht sagen, ‚die
Dirigentin dirigiert männlich‘. Nein: Männer dirigieren wie es sein muss und Frauen
wie es sein muss. Das einzige was mir auffallt ist, das Frauen recht weit oben
dirigieren. Sie dirigieren über der Brust – die Männer haben eher ein Bauchzentrum. Andererseits hab ich die Erfahrung gemacht, dass man als Dirigentin nicht allzu weiblich sein sollte. Denn das lenkt ab. Und dann geht nicht mehr um Musik, sondern ums flirten.
Anke Krump: Vielen Dank fur das Gesprach!
Von Kundigen Maestros Tricks erfahren
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 22.11.2002
Lisa Xanthopoulou erhält heute den Preis des Bad Homburger Dirigentenwettbewerbs/Abends Konzert
Für Lisa Xanthopoulou kam der Gewinn des Bad Homburger Dirigentenwettbewerbs zur rechten Zeit: Gerade begann sich in der jungen Karriere mit Verpflichtungen zu Konzerten in Cottbus, Nürnberg, Baden-Baden, Wein und zu Operngastspielen in Würzburg und der Geburtsstadt Thessaloniki eine Aufwärtsentwicklung abzuzeichnen "da öffnete sich der Himmel, und ein Bravo kam herunter". So empfindet die temperamentvolle, aber auch nachdenkliche Künstlerin im Gespräch mit dieser Zeitung den Preis: als Bestätigung und Ermutigung für ihren Weg, als Energiereserve vor der nächsten Niederlage, "die sicher kommt. Aber ich habe keine jugendlichen Ängste mehr, ich lasse jetzt alles auf mich zukommen."
Begonnen hatte alles für die Sechsjährige mit Klavierstunden. Bald erfingerte sie nach dem Gehör griechische Lieder, entdeckte das Instrument als "Spaßquelle", wurde während der ganzen Schulzeit zum Begleiten und Leiten von Chören herangezogen, entdeckte, dass sie in der Ensemble-Arbeit sich selbst und ihre Musikbegeisterung am besten verwirklichen konnte........
Auch zwischen dem Probendirigenten und dem Konzertleiter sieht die Künstlerin Unterschiede. Bei den Proben sei die eindeutige, pädagogisch und psychologisch möglichst überzeugende Vermittlung des musikalischen Konzepts wichtig, getragen von untrüglichem Gehör, Gespür für Rhythmus, Melos, Klangbalance uns Werkstil. "Das ist Feinarbeit mit Aura, Augen, Händen, Fingern. Ich spreche mit Gesten, immer weniger mit
Worten, nur Nötigte kurz und knapp." Auch im Konzert hat Dirigieren viel mit Ausstrahlung zu tun. "Doch die Zeichen erinnern jetzt nur noch an das gemeinsam Gelernte. Der Rest ist Inspiration im gegenseitigen Geben und Nehmen mit Orchester und Publikum."..........
Das Bad Homburger Programm wird sie ohne Taktstock leiten, "weil ich das Synchronisieren der Klangbewegung an das Orchestern delegieren möchte". In der Männerdomäne ist die Dirigentin bei Orchestern und Publikum noch ein ungewohnter Anblick. "Zwar fühle ich mich persönlich nicht als exotisch, aber das Orchester fixiert die Frau am Pult schärfer als den Mann: Die Frau muss beweisen, dass sie überhaupt dirigieren kann, der Mann dass er gut dirigieren kann."
ELLEN KOHLHAAS